von der Pulverfabrik zum modernen Industrie – und Gewerbestandort
Die Pulverherstellung hat in Rottweil lange Tradition, schon 1384 wird in der Schweiz ein Erhart von Rotwil als Pulvermacher genannt. Im 16. Jahrhundert finden sich immer wieder Erwähnungen von Pulverlieferungen aus Rottweil in die Schweiz. 1564 begegnet uns mit Balthasar Spohn der erste Vertreter einer Rottweiler Pulvermüller-Sippe, im gleichen Jahr als David Rötlin die „Bulfermil“ auf seiner berühmten Pürschgerichtskarte festhält. In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges arbeiten mehrere Pulvermühlen im Neckartal, ihre Standorte konzentrieren sich nach dem großen Krieg auf den Bereich unterhalb der Spitalmühle. Dort arbeitete im 18. Jahrhundert auch die städtische Pulvermühle. Nach der Reichsstadtzeit war die Rottweiler Pulvermühle Hauptlieferantin der württembergischen Arsenal-Direktion, im Neckartal entstand noch eine zweite Pulvermühle.Mit Max Duttenhofer, der 1863 in die Pulvermühle eingetreten war und die Tochter des Pulvermüllers Flaiz heiratete, begann eine große Ära. Duttenhofer wandelte seinen Betrieb in eine Aktiengesellschaft um, eröffnete Filialen und Werke in Hamburg, England, Holland Russland und Serbien. Die Entwicklung des rauchschwachen Rottweiler Chemischen Pulvers RCP verhalf Duttenhofers Firma zum Durchbruch.
1890 schloss sich die Rottweiler Pulverfabrik mit westdeutschen Pulverfabriken zur „Vereinigten Köln-Rottweiler Pulverfabriken AG“ zusammen. Bis 1890 produzierte Duttenhofers Firma bereits 6.000 Tonnen Pulver und erreichte eine Bilanzsumme von 31 Millionen Mark. Mit dem Aufstieg einher ging eine stetige bauliche Ausweitung der Produktionsstätte im Neckartal, die bereits 1887 einen eigenen Anschluss an die Eisenbahn erhielt. Der zielstrebige Fabrikant erhielt den Titel Geheimer Kommerzienrat mit Adelsprädikat. Nach Duttenhofers Tod im Jahr 1903 wurde die Firma zunächst von seinem Sohn weitergeführt, der sich allerdings nur selten in Rottweil aufhielt.
Aus der kleinen, handwerklich geführten Pulvermühle mit anfangs 10 Arbeitern hatte sich eine weltumspannende Firma entwickelt, die 1890 854 Arbeiter beschäftigte. Nach zwischenzeitlichem Rückgang stieg die Zahl der Beschäftigten bis 1917 auf 2226 Arbeiter, die in zwei zwölfstündigen Schichten arbeiteten.
1926 ging das Rottweiler Werk mit der Gesamtfirma in der IG Farbenindustrie AG auf. Neben der wieder aufgenommenen Pulverproduktion wurde seit Ende des Ersten Weltkrieges Viskose-Reyon-Kunstseide produziert. 1945 wurden die der Kriegsindustrie dienenden Teile des Werkes demontiert. Kunstseide und Reifencord wurden nun von der Rottweiler Kunstseide Fabrik AG hergestellt, die Jagdpatronenfabrik verlegt. Die Kunstseidefabrik kam über die Deutsche Rhodiaceta AG an den französischen Konzern Rhone-Poulenc. 1994 wurde das Rottweiler Werk der Rhodia geschlossen.
Einige wenige Pioniere erkannten die Einmaligkeit dieser architektonisch interessanten Industrieanlage. Für die noch immer beeindruckenden Industriebauten wurden damals die angesehensten Architekten der Zeit engagiert, wie Paul Bonaz, Heinrich Henes und Emil Mörsch. Rund 40 der 110 Gebäude sind als Kulturdenkmäler klassifiziert, weitere gelten als erhaltenswert. Die Um – und Weiternutzung in heutiger Zeit berücksichtigt in vorbildlicher Weise die Aussagekraft der historischen Gebäude. Ob Veranstaltungsareal wie im ehemaligen Kraftwerk der Fabrik, Fitness-Studio oder Theater-Restaurant im ehemaligen Badhaus, Wohngebäude oder Dienstleistungsbüros – das Gewerbegebiet Neckartal ist ein pulsierender, lebendiger Ort, der mit seiner außergewöhnlichen Geschichte überrascht und fasziniert. Ein Industriepfad mit reich bebilderten Schautafeln lässt die Vergangenheit lebendig werden.